Alpbach ist viel mehr als Visitenkarten und Selfie

Das Europäische Forum Alpbach ist bekannt als ein großes Networking-Event. Aber für mich war es viel mehr ein Ort, wo an jeder Ecke völlig unerwartet die nächste unglaublich spannende Begegnung mit den faszinierendsten Menschen wartete. Einige Wochen nach dem Forum habe ich reflektiert, welche Begegnungen mir am stärksten in Erinnerung geblieben sind. Dabei rede ich nicht von den großen Keynote-SpeakerInnen und PolitikerInnen auf der Bühne, sondern eben von den ganz unerwarteten Begegnungen, die in Alpbach an jeder Ecke lauern. Diese Ecken können eine Gondelbahn, eine Kirche, ein Turnsaal oder ein Balkon sein.

Man steht auf, früher als sonst, frühstückt schnell und macht sich auf den Weg zur Gondelbahnstation, weil das heutige Seminar zu Klimawandel und Luftverschmutzung oben auf dem Berg stattfindet. Dort sollen  Luftproben entnommen werden. Noch leicht verschlafen steht man mit 50 anderen Stipendiaten und Stipendiatinnen bei der Talstation an und schlurft in die nächste Gondel. Man kennt niemanden in der Gondel und stellt sich höflich vor. Mein Gegenüber stellt sich als Sheena vor, Geologin aus Kurdistan im Irak, und ehe man sich versieht, lernt und diskutiert man um 8 Uhr morgens über den Irakkonflikt, die Lage der KurdInnen, die Rolle der Ölreserven im Land und die Bedeutung von Wasser. Schon ist man hellwach und hat im wörtlichen und übertragenen Sinn die Augen geöffnet bekommen. Das ist Alpbach.

Nach mehreren Tagen ganztägiger Seminare und ganznächtiger Diskussionen und Tanzkurse können sich schon manchmal erste Erschöpfungsanzeichen bemerkbar machen. Plötzlich bekommt man von einer unbekannten Nummer eine WhatsApp-Nachricht. „Ich übe gerade für ein Konzert an der Orgel in der Ortskirche, komm vorbei, wenn du Zeit hast.“ Man wundert sich nur kurz, wem man da schon wieder seine Nummer gegeben hat und läuft los, im Regen durch Alpbach, wo überall Leute von einem Seminarort zum nächsten hetzen, über den Friedhof, rein in die Kirche, nach oben klettern auf die zweite Empore. Und in der menschenleeren Kirche spielt der junge Komponist Antonius Widman dann die Europahymne von Beethoven und Imagine von John Lennon auf der Orgel, während man selber auf der Bank am Kirchenfenster sitzt und endlich Zeit findet, über die spannenden Vorträge der letzten Tage zu reflektieren. Ein privates Orgelkonzert, das ist auch Alpbach.

Noch viel größere Auswirkungen für mich persönlich sollte jedoch die nächste Begegnung haben. Bei einem Workshop namens „My Europe – My Story“ haben mehrere europäische Journalisten und Journalistinnen uns „Stips“ einige Tipps und Tricks beigebracht, wie man überzeugend Geschichten und Argumente rüberbringt. Ich war in der Gruppe von Ryan Heath, Senior Political Writer bei Politico Europe, einem der größten europäischen Politikmagazine. Nach dem Workshop gehe ich zu ihm hin, bedanke mich für den spannenden Workshop und erzähle ihm, dass ich neben meinem Studium eine Website mit Wahlumfragen-Daten betreibe. „Die könnte Sie als Journalist vielleicht interessieren.“ Und was antwortet er? „Was? Das bist du? Ich habe dein Projekt erst gestern auf Twitter entdeckt und meinen Kollegen geschrieben, dass wir euch kontaktieren sollten.“ Ich bin natürlich komplett verdutzt und das steigert sich erst recht, als er dann sagt: „Was machst du heute Abend? Lass uns Essen gehen und über dein Projekt, und was man damit machen kann, reden“. In einem Hauptschulturnsaal solche Möglichkeiten zu bekommen, das ist Alpbach.

Was ich sagen will ist, dass Alpbach viel mehr als Podiumsdiskussionen und Tauschbörse für Visitenkarten ist. Es ist eine hochkonzentrierte Ansammlung wirklich inspirierender Menschen. Und damit komm ich zur allerschönsten Begegnung: Die mit Barbara, Max, Kilian, Sarah, Raphael, Christoph, Lukas, Franziska, Lisa, Anna, Melike, Bettina, Denis, Phillip, Maurice und Tobias, meinen Mit-Stipendiatinnen und -Stipendiaten vom EFA 2018. Euch alle kennen zu lernen, am ersten Tag auf dem Balkon des Haus Wöll zu sitzen und schon nach wenigen Minuten hitzige Debatten über uns und unsere Generation zu führen, das waren definitiv die besten Begegnungen in Alpbach.

 

Cornelius Hirsch
Stipendiat 2018

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