Interview mit Heinz Fischer

Heinz Fischer
Ehemaliger Bundespräsident (2004 bis 2016)

 

CAV: Sie sind als bescheidene Person bekannt. Gibt es einen Moment, auf den Sie mit Stolz zurückblicken?

Fischer: Sicher. Ich denke zum Beispiel mit Freude und Stolz an den Tag meiner Wiederwahl als Bundespräsident für eine zweite Amtsperiode mit mehr als 79% der Stimmen im April 2010.

 

Sie sind Co-Vorsitzender des Ban Ki-moon Center (BKMC), mit dem Sie heuer auch in Alpbach zu Gast waren. Eines der Ziele des BKMC ist die globale Bürgerschaft („global citizenship“). Wie kann ein solches, eher wenig greifbares Konzept für die breite Bevölkerung zugänglich gemacht werden? Was für Aktivitäten planen Sie?

Ich verstehe unter „global citizenship“ das Bekenntnis zu gleichen Menschenrechten und gleicher Menschenwürde aller Mitmenschen auf diesem Planeten und das Bemühen, diese gleiche Menschenwürde auch durchzusetzen. Die Sustainable Development Goals (SDG), die sich mit dem Kampf gegen die Armut, mit gleichen Bildungschancen, humanen Lebensbedingungen und der Gleichberechtigung von Männern und Frauen beschäftigen. Themen wie die Bildungsmöglichkeiten von Frauen und jungen Menschen generell werden vom BKMC besonders ins Auge gefasst.

 

Wir feiern heuer 100 Jahre Republik Österreich. Was interessiert Sie besonders an der Geschichte unserer Republik?

Zunächst einmal bin ich der Meinung, dass wir die Zeit, in der wir leben, nur verstehen können, wenn wir auch die Vergangenheit und die Vorvergangenheit kennen. Ich finde es faszinierend, wie jede Epoche in unserer Geschichte die nachfolgende Epoche beeinflusst und geprägt hat. Zum Beispiel hat die Ära Metternich die Revolution des Jahres 1848 angestoßen und auch die nachfolgenden Jahrzehnte unter Kaiser Franz Joseph dauerhaft beeinflusst. Die letzten Jahrzehnte der Ära Franz Joseph mündeten in den Ersten Weltkrieg und der Erste Weltkrieg hatte den Zusammenbruch der Monarchie und das Klima in der Ersten Republik stark beeinflusst. Die negativen Entwicklungen in der Ersten Republik und die Lehren daraus haben sich auf den Aufbau der Zweiten Republik sehr positiv ausgewirkt. Wer will, kann aus der Geschichte sehr viel lernen, wer das nicht will, zahlt einen hohen Preis dafür.

 

Wie hat sich Alpbach im Laufe der Jahre aus Ihrer Sicht verändert?

Ich bin seit Mitte der 60er Jahre ein ziemlich regelmäßiger Besucher von Alpbach. Alpbach hat klein und amateurhaft begonnen. Besonders stark vertreten unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in der Frühzeit waren Intellektuelle, Schriftsteller, Künstler, Universitätsprofessoren, etc. Alpbach ist im Laufe der Zeit gewachsen, es ist professioneller geworden, es haben Wirtschaft- und Finanzfragen stark an Bedeutung gewonnen und es ist natürlich auch internationaler geworden.

 

Ein besonderes Erlebnis, eine besondere Begegnung in Alpbach:

Zu meinen Lieblingsbüchern zählt das Buch Sonnenfinsternis von Arthur Köstler und es war für mich faszinierend, in Alpbach mit Arthur Köstler über Feinheiten seines Buches, über den historischen Hintergrund, über den Charakter der Hauptfiguren zu diskutieren. Ebenso faszinierend war für mich, als mich Bundeskanzler Sinowatz in der ersten Hälfte der 80er Jahre gebeten hat, die auf Staatsbesuch nach Österreich kommende indische Ministerpräsidentin Indira Ghandi nach Alpbach zu begleiten, mich in Alpbach um sie zu kümmern und sie dann zu verabschieden.

 

Wie oft waren Sie schon in Alpbach?

Ich schätze, dass ich in mehr als 45 Jahren jeweils im Sommer an Veranstaltungen in Alpbach teilgenommen habe.

 

Wie hat sich das Verhältnis von Politik und Medien gewandelt?

Der Begriff der Medien war in der Frühzeit der Demokratie im Wesentlichen auf Printmedien reduziert. In einer zweiten Phase sind elektronische Medien (vor allem Fernsehen und Radio) dazu gekommen und in der dritten Phase, in der wir uns jetzt befinden, ist der Einfluss der sozialen Medien enorm gewachsen. Damit ist jedenfalls der Einfluss der Medien relativ größer geworden und der Einfluss der Politik relativ kleiner. Aber es gibt nicht nur diese quantitativen, sondern auch massive qualitative Veränderungen, die noch nicht ausreichend erforscht sind und sich außerdem in ständiger Weiterentwicklung befinden.

 

Warum stirbt die Sozialdemokratie in Europa?

Die Nachricht vom Sterben der Sozialdemokratie – frei nach Mark Twain – ist stark übertrieben. Wahr ist aber, dass die Sozialdemokratie in Europa vor 30 oder 40 Jahren ein „Hoch“ hatte, da eine deutliche Mehrheit der Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat Sozialdemokraten waren, und dass die Sozialdemokratie seit dem Zusammenbruch des Kommunismus und der wachsenden Dominanz des Finanzkapitals in ein „Tief“ geschlittert ist. Die spannende Frage wird lauten, wie die nächste Etappe im wellenförmigen Verlauf der Geschichte aussehen wird.

 

Jubiläumsjahr 2018: die Freiheitsbewegung von 1848, die Novemberrevolution 1918, der ,Anschluss‘ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland 1938 sowie der Prager Frühling und die Studentenbewegung von 1968. Was können wir aus der Geschichte lernen?

Die Geschichte ist kein geradliniger Prozess, sondern sie wird von gesellschaftlichen, ökonomischen, technologischen Veränderungen beeinflusst und geprägt. Diese Wechselwirkungen zu studieren, das Verhältnis von Ursache und Wirkung zu analysieren, heißt für mich aus der Geschichte lernen.

 

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